KINO „Bittere Kirschen“
"Wer erzählt, hat eine Frage." – Die Schauspielerin Magdalena Behsler, genannt LENA, fällt im letzten Akt einer Penthesilea – Aufführung aus ihrer Rolle, eben in dem Moment, als die Amazonenkönigin erkennen muss, ihren Geliebten im Wahn zerrissen zu haben.
Die Schauspielerin Lena wendet dem Theater den Rücken und kehrt, als sie vom Tod ihrer Mutter MARLIS erfährt, in ihren kleinen Heimatort zurück. Bei JULIUS DAHLMANN, einem als verschroben geltenden Freund ihrer Mutter aus Kindheitstagen, wird sie Untermieterin. Dahlmann hat als Kind bis 1944 in Polen gelebt, in Auschwitz, dort, "wo alles angefangen hat", wie Lenas Mutter immer erzählte. In ihrem Heimatstädtchen wartet auch Lenas Freund LUDWIG, der sie auffordert, diesmal zu bleiben. Er bittet Lena um ihre Hand. Doch Lena ist nicht danach zu Mute, sich festzusetzen. Als sie von einem Freundschaftsspiel der heimischen Fußballmannschaft in Oswiecim erfährt, beschließt sie, nach Polen zu fahren, um auf den Spuren Dahlmanns Antworten auf Fragen zu suchen, die sie ihrer Mutter zu Lebzeiten nicht stellen konnte. Was war Julius Dahlmann als Kind widerfahren? Und warum war er doch nicht ihr Vater geworden?
Auch Dahlmann reist nach Oswiecim, als er von Lenas Reiseplänen erfährt. Dort quartiert er sich beim katholischen Priester RICHARD FRANZEN ein, der in Auschwitz den deutsch – polnischen Jugendaustausch organisiert. Dahlmann will in der polnischen Stadt nur wiedererkennen, was er einst als Kind erlebt hat, doch seinen traumatischen Erfahrungen und seinen über Jahre gewachsenen Schuldgefühlen weicht er aus. Auch Lena hat Richard Franzens Bekanntschaft gemacht. Bald ist er hin- und her gerissen von Lenas unkonventionellen Ansichten über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit, wie sie die Musealisierung des Gedenkens an den Holocaust ablehnt, und ihrer erotischen Ausstrahlung.
Lena lässt sich auf eine Affäre mit ADRIAN ein, dem jungen Torwart der Fußballmannschaft. Sie führt ihn zu Dahlmanns Haus aus der Kindheit. Doch nach einem Liebesakt im Dunklen jenes Hausflurs, in dem einst Julius Dahlmanns vor seinem Vater und den KZ Aufsehern Schutz suchte, beschließt sie, zurückzukehren. Als sie zu ihrer Überraschung kurz darauf Dahlmann begegnet, lädt sie ihn ein, in ihrem Auto mitzufahren. Richard schließt sich spontan der Reisegemeinschaft an. Die Fahrt durch fremde polnische Landschaften wird für Lena wie Dahlmann eine Reise in die Erinnerung. Lenas Liebe zu Ludwig, der seit ihrer Schulzeit etwas Unerfülltes anhaftet, kristallisiert sich als Kampf zwischen ersehnter Nähe und dem Wunsch, der engen Kleinstadt zu entfliehen. Auch Dahlmanns verkrustete Erinnerungen brechen auf. Seine heimliche Liebe zu Marlis bis zu ihrem Tod war genährt von einem Versprechen unter Kindern; von der vergeblichen Hoffnung, bei der starken Marlis den Schutz zu finden, den sein gehasster Vater ihm als schwächlichem Jungen verweigerte. Richard spürt, dass er sich dem Auftrag, sein Leben der Versöhnung für Auschwitz zu widmen, nicht mehr gewachsen sieht. Und seine Gefühle für Lena lassen ihn am Sinn des Zölibats mehr und mehr zweifeln.
Immer wieder unterbrochen von scheinbar nebensächlichen Begebenheiten, geht die Fahrt weiter in eine Welt, in der Realität und Erinnerung, Traum und Sehnsucht verschmelzen, und in der jeder sich den vergessen geglaubten Erinnerungen und der eigenen Zerbrechlichkeit stellen muss. Am Ende der Reise wird Lena beschließen, an ihre eigene Geschichte anzuknüpfen, statt in das Leben anderer zu schlüpfen.