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Vernissage mit Ae Hee Lee DREAMCODE 1706

DREAMCODE

               1706

Die koreanische Künstlerin Ae Hee Lee beschreibt ihre Arbeitsweise:
"Ich beschäftige mich mit meinen Traumwelten, der anderen inneren Wirklichkeit des Unbewussten, oder der Erinnerung. Diese komplexen, archetypischen Welten reflektieren auch indirekt das Alltagsleben in Deutschland und Korea mit seinen kollektiven und historischen Einflüssen. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, dokumentiere ich meine Träume durch Zeichnungen in ein Traum-Tagebuch. Diese systematische Dokumentation übersetze ich in ein künstlerisches Werk, indem ich sie in Form von gepunkteten, vernetzten Strukturen kalendarisch auf die Leinwand übertrage. …"
So entstehen u.a. Bilder mit feinen Strukturen, die mit Schwarzlicht angestrahlt ihren unwiderstehlichen Zauber entfalten.
weitere Informationen über Leben, Werk und Auszeichnungen der Künstlerin:
Die Ausstellung dauert bis 18.12.2018.
Öffnet externen Link in neuem Fensterwww.aeheelee.com
weitere Informationen über die Künstlerin und ihr Werk:

Ae Hee Lee, geboren 1982 in Seoul, Südkorea

2001-2006       Studium Freie Kunst, Kyungwon University (Bachelor), Südkorea

seit 2007          lebe in Deutschland

2008-2011       Studium Freie Kunst, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (Diplom)

seit 2011          lebt und arbeitet in Berlin.

 

Auszeichnungen

2016     Zonta Kunstpreis des ZONTA Clubs Ludwigshafen Pfalz

2011     DAAD Stipendium, Deutschland

2005     Kyungwon University Stipendium.

 

Einzelausstellungen

2018    „Dream Records 1583“, Koenraad Bosman Museum, Rees

            „Dream Records 1553“, Altonaer Rathaus, Hamburg

            „Dream Records 1461“, Seolmijae Art Museum, Gyeonggi-do, Südkorea

„Dream Records 1433“, Gallery Yian, Daejeon, Südkorea

2017    „Dream Records 1096“, EMERSON Gallery Berlin, Berlin

„Dream Records 976“, Galerie Maurer, Frankfurt am Main

2016    „Memory“, OSTASIENINSTITUT der Hochschule Ludwigshafen am Rhein, Ludwigshafen

„Dream Records 944“, Städtische Galerie Schwabach, Schwabach

„Dream Records 822, Memory Records 70 – Ich-Forschungen“, Kunstverein Ludwigshafen,

anlässlich des ZONTA-Kunstpreises 2016 des ZONTA Clubs Ludwigshafen-Pfalz, Ludwigshafen

2013    „Cosmos“, SCHAUBUDE Theater-Kulturprojekte Berlin, Berlin

2012    „Koexistenz“, EMERSON Gallery Berlin, Berlin

„Familie“, SCHAUBUDE Theater-Kulturprojekte Berlin, Berlin

2010    „My Diary“, galerie auf zeit-räume für Kunst, Braunschweig

 

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2018    „68. Bayreuther Kunstausstellung“, Kunstverein Bayreuth E.V., Bayreuth

            „International Art Exhibition – Nordart 2018“, Kunstwerk Carlshütte, Büdelsdorf

„50 Jahre Kunstverein Gelsenkirchen – Kunst & Leidenschaft“,

Alte Villa im Kunstmuseum Gelsenkirchen, Gelsenkirchen

2017    „Project On #3“, Gallery damdam-Koreanisches Kulturzentrum, Berlin

„KUNSTVERSTEIGERUNG“, Kunstverein Gelsenkirchen, Kunstmuseum Gelsenkirchen, Gelsenkirchen

„Korrespondenzen und Korrelationen“, MONTAGEHALLE Berlin, Berlin

„One on One – Nachspiel“, Gallery damdam-Koreanisches Kulturzentrum, Berlin

„67. Bayreuther Kunstausstellung“, Kunstverein Bayreuth E.V., Bayreuth

„Translations: in Context“, Raum für Kunst im Kontext, Berlin

„Projektor-Baukasten für eine imaginäre Stadt-“, Projektor/Zola_Garten, Berlin

„ONE ON ONE“, In Zusammenarbeit mit dem Keum Art Projects und Institut für Alles Mögliche, Berlin

„Sewol Passion“, PG Berlin Gallary, Berlin

„KunstBoulevard – Malerei und Fotografie“, Kulturamt Steglitz-Zehlendorf, Berlin

„Immer.Wieder – Kunstwerke als Dokumente zeitlicher Prozesse“, Kunstverein Pforzheim, Pforzheim

2016    „Timelines“, Kunstverein Ludwigshafen in Kooperation mit dem 2016 PORT25, Ludwigshafen und Mannheim

„Unbegrenzte Möglichkeiten“, item GmbH, Ulm

„KunstBoulevard – Malerei und Fotografie“, Kulturamt Steglitz-Zehlendorf, Berlin

„Anke Westermann`s Projektor-Projekt in 1#1SITE“, Phoenix-BB, Berlin

2015    „KunstBoulevard“, Boulevard Berlin, Kulturamt Steglitz-Zehlendorf, Berlin

2013    „Blickwinkel“, Galerie Markus Doebele, Dettelbach OT Effeldorf

„Schwabacher Kunsttage ortung VIII Im Zeichen des Goldes“, Rathaus, Goldener Saal, Schwabach

2012    „Heimat“, Galerie Markus Doebele, Dettelbach OT Effeldorf

2011     „Mit Alles“, Galerie „Vom Zufall und vom Glück“, Hannover

„My favorite things – bilder einer Sammlung“, galerie auf zeit-räume für Kunst, Braunschweig

 

Informationen über die Kunstwerke

„Ae Hee Lee untersucht ihr „Selbst“ mit der Frage, wo die Grenzen der Erinnerung liegen. Durch die systematische Erforschung ihrer Träume versucht sie die Grenze zur archetypischen, kollektiven Urform des Unbewussten zu überwinden. Die Dokumentation ihrer Selbst- und Traumforschung schlägt sich in Form feiner, vernetzter Strukturen in ihrem künstlerischen Werk nieder.“

„Ich beschäftige mich mit meinen Traumwelten, der anderen inneren Wirklichkeit des Unbewussten, oder der Erinnerung. Diese komplexen, archetypischen Welten reflektieren auch indirekt das Alltagsleben in Deutschland und Korea mit seinen kollektiven und historischen Einflüssen. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, dokumentiere ich meine Träume durch Zeichnungen in ein Traum-Tagebuch. Diese systematische Dokumentation übersetze ich in ein künstlerisches Werk, indem ich sie in Form von gepunkteten, vernetzten Strukturen kalendarisch auf die Leinwand übertrage. Diese Kompositionen bestehen aus tausenden von Punkten, die eine Übersetzung meiner Aufzeichnungen darstellen.“

„Seit 2008 habe ich mich mit meiner Erinnerung beschäftigt mit der Frage wer ich bin und welche Bedeutung mein Leben grundsätzlich hat. In Zusammenhang mit diesem Thema beschäftige ich mich seit 2013 mit dem unbewussten Bereich der Träume. Meine Arbeit ist auch eine Suche nach meinem Ich und nach meiner Identität.

Bei den großen Bildern (120 x 140 cm, die ich aber nicht im Kulturhaus ausstelle) handelt es sich um jeweils einen Monat, der wie bei einem Kalender in die entsprechenden Tage unterteilt wird, in Reihen von links nach rechts in Ihrer Unterteilung den Wochentagen entsprechend. Ein Tag hat eine Größe von 20 x 20 cm. Jeden Morgen dokumentiere ich meine Träume an einem Tag in ein Skizzenbuch direkt nach dem Aufwachen. Ein Tag dieses Skizzenbuches bildet dann die Grundlage für ein Feld auf den großen Bildern. Die unterschiedliche Größe der Menschen und der anderen Dinge ist zum einen begrenzt durch die Größe dieser Felder, zum anderen durch die Perspektive und durch Ihre Erscheinung und meine Wahrnehmung in den Träumen.

Die merkwürdigen, interessanten Träume, die nicht auf die kalenderartigen großen Bilder passen, male ich auf die kleinen Bilder (2014: 50 x 60 cm, 2015: 60 x 60 cm, 2016: 60 x 70 cm, 2017: 170 x 45 cm, 2018: 50 x 300 cm). Diese kleinen Bilder enthalten keine kalenderartige Anordnung, sondern beziehen sich nur auf unterschiedliche Tage und sind räumlich nicht begrenzt wie die großen Bilder. Die Inhalte sind hier über die gesamte Leinwand vernetzt.

Es handelt sich bei der Technik neuer Bilder mit der Größe 170 x 45 cm und 50 x 300 cm um fluoreszierende Acrylfarbe auf Leinwand und auf Fahnenstoff. Diese Arbeiten sind mit verschiedenfarbigen fluoreszierenden Punkten bemalt, die unter Schwarzlicht zum Leuchten angeregt werden können und sich dabei in abgedunkelten Räumen befinden können.

Für die Punkte verwende ich zwei Innensechskantschlüssel verschiedener Größe und einen Nagel.“

„Die Träume sind sehr merkwürdig und nicht berechenbar, ich werde auch mal eine Schauspielerin auch eine Regisseurin oder auch ein Mann oder auch ein Tier. Im Traum bin ich nicht sicher, wo ich bin, oder ich weiß, wo ich bin, aber ich bin nicht dort. Alles ist kompliziert und alles ist gemischt, aber in der Traumwelt war ich trotzdem sehr sicher, was ich gemacht habe. Natürlich nach dem Aufwachen, habe ich oft vergessen, was das war. Ich komme aus Korea und weiß, dass ich in Deutschland lebe. Aber im Traum bin ich oft in Korea mit meiner Familie, sprechen wir alle auf Deutsch und habe an dem Tag einen Termin mit einer Arztpraxis in Deutschland oder ich bin in Deutschland, aber lebt hier nur Koreaner. Oder ich bin im Wasser oder in die Weltall, in Universum, in der ich noch nie war. Alles wurde gemischt und verschiedene Erinnerungen, die ich alltags erlebt habe oder erleben werde, wurden vernetzt, aber nicht verständlich und auch nicht, was man in Realität erleben kann. Träume erweitern unsere Kenntnisse ohne zeitliche, räumliche, denkbare Grenze. Traum ist für mich so, nur ich kann selber erleben und fühlen und sie kommen von reiner Gehirnarbeit ohne bewusste Kontrolle. Daher kann ich weitere wunderschöne Material für meine eigene Kunst bekommen und das freut mich sehr, dass ich noch weiterhin an meine Träume erinnern kann.“

Texte von Dr. Lida von Mengden, Theo Schneider, Robert Schmitt, Alexander Florié-Albrecht

/Katalog: „Dream Records, Life Project“ ? ZONTA Kunstpreis und Ausstellung 2016, Kunstverein Ludwigshafen / Text: Dr. Lida von Mengden:

„Wem sind nicht schon einmal alte Fotografien von längst vergangenen Familienfesten, Treffen mit Freunden, Urlauben und anderen Gelegenheiten – noch aus Zeiten der analogen Fotografie – in die Hände gefallen, und wer wäre da nicht von den Erinnerungen überwältigt worden und wäre nicht den inneren Bilder, die auftauchten, gefolgt? Man sieht sich den Film der Erinnerung wieder an und erweckt die Szenen der Fotografien wieder zum Leben, mit allem, was dazu gehört, aber vor allem, mit den Gefühlen von damals.

Es ist nicht unangenehm, früheren Lebensphasen auf diese Weise nachzuspüren. Wir betrachten unser Aussehen, sind überrascht über Veränderungen, fragen uns, was ein besonderer Blick zu bedeuten hat, betrachten nochmals die Szene, den Gesichtsausdruck und die Gesten der anderen Personen auf dem Foto.

Damit verbindet sich auch ein forschender Blick auf uns selbst, nach innen gerichtet, forschend nach dem, was uns bewegt hat oder nach außen, bezogen auf die Menschen um uns herum. Die große Mode der Selfies, die gegenwärtig nicht nur bei jungen Leuten beliebt ist, sicherlich angefeuert durch die Allgegenwart der fotografierten Bilder, die einen inflationären Starkult befördern, hat jedoch noch einen tieferen Hintergrund. Es steckt darin der Wunsch nach Selbstdarstellung, ein fotografisches „Ich“-Sagen, aber wohl auch ein tiefes Gefühl der Unsicherheit, die Frage nach dem „Wer bin ich?“, die nach Antworten, aber vor allem nach Selbstvergewisserung sucht. Selfies können als Akte der Selbstvergewisserung gesehen werden, ebenso all unsere Blicke auf ein Foto von uns: wir suchen nach Antworten auf die Frage nach dem Ich.

Wer bin ich?

Was ist an dieser Frage so faszinierend oder so drängend, dass sie für jeden Menschen – zumindest – einmal im Leben wichtig wird?

Warum suchen wir Antworten auf die Fragen, welcher Mensch bin ich eigentlich, warum bin ich zu dem geworden, der ich bin, was unterscheidet mich von anderen, was zeichnet mich aus? Und welche Antworten suchen wir?

Die Frage nach dem Ich ist ernst. Sie wird umso drängender, je weniger man sich seiner selbst und seiner Umwelt sicher ist. Das gilt vor allem dann, wenn man seine Heimat verlässt oder verlassen muss; mit dem Verlust der vertrauten Um-Welt verschwindet der schützende Kokon, der uns – zumindest partiell – in unserem So-Sein bestätigt hat.

Und so erscheint es nicht verwunderlich, dass sich die Künstlerin Ae Hee Lee gerade zu dem Zeitpunkt, als sie 2007 aus Korea nach Deutschland gekommen ist, fragt ‚wer bin ich?‘ und ‚was ist mein Leben?‘ und beginnt, sich zurückzuerinnern an frühere Ereignisse in ihrem Leben, und nach den Ursachen und Beweggründen, auch den unbewussten, zu forschen.

Ae Hee Lee haben diese Fragen zu einer systematischen Ich-Forschung  geführt, sie hat sie immer weiterentwickelt, so dass sie zu einem künstlerischen Projekt geworden sind, dem sie sich seit etwa acht Jahren widmet.

Die zentrale Fragestellung, das Zentrum ihrer künstlerischen Praxis, ist das Kennenlernen des eigenen Unbewussten, das Hinabtauchen in die dem Wachbewusstsein verborgenen Bereiche des Selbst.

Wie sie in den Erläuterungen zu ihren diversen Werkgruppen schreibt, strebt sie danach, „die verborgenen Bereiche des Gedächtnisses und meiner unbewussten Welt zu erreichen“, und so beschäftigt sie sich auch mit der „komplexen, archetypischen  Welt der Träume“, weil sie auch damit „unbewusste Erkenntnisse ins Bewusstsein bringen will“. Deshalb könnte man die Kunst von Lee als „Selbsterforschungsprojekt“ bezeichnen, als einen Prozess der „Ich-Suche“ vermittels eines künstlerischen Programms.

Ihre Methoden sind dabei keineswegs ungewöhnlich; zum einen benutzt sie Fotografien, um sich bestimmte Episoden in ihrem Leben ins Gedächtnis zu rufen, zum anderen führt sie ein Traumtagebuch, in das sie jeden Morgen ihre Träume einzeichnet.

Das Besondere dabei ist die Art und Weise, wie sie mit diesen Materialien oder „Protokollen“ umgeht. Im Wesentlichen entstehen dabei zwei Werkgruppen, das „Life Project“ mit kleinen Figuren von sich selbst und von Verwandten und Freunden, das sie 2008 beginnt, und die „Dream Records“, in denen sie sich ab 2013 mit ihren Träumen beschäftigt. Eine dritte Werkgruppe, die „Schutzengel“, begreift die Künstlerin als ein beide Werkgruppen begleitendes Projekt.

Auf den ersten Blick scheinen ihre großen Bodeninstallationen – karge Landschaften mit Szenen buntfarbiger Figürchen – und die dunklen Leinwände mit weiß getupften kindlich-naiven Zeichnungen den Betrachter in Phantasiewelten zu entführen und kleine Fluchten aus der Wirklichkeit anzubieten. Doch der Schein eines naiven Eskapismus täuscht, denn Ae Hee Lee inszeniert ihre Traumwelten und die bunten Spiel(zeug)welten der figürlichen Szenarien, um die sensible Grenze zwischen Wirklichkeit und der anderen, der inneren Wirklichkeit – sei es das Unbewusste, der Traum oder die Imagination – spürbar werden zu lassen. Sie erfindet für die schwierige Frage nach dem Ich eine leichtfüßige Sprache, um das psychologische Spannungsverhältnis von innerer und äußerer Wirklichkeit und Imagination sichtbar zu machen und zu thematisieren.

 *

Im „Lebensprojekt“ begibt sich die Künstlerin auf die Spur ihrer unbewussten Gefühle, sie versucht, sich an entscheidende Ereignisse und die damit verbundenen Gefühle zu erinnern, und geht dabei bis in die Kindheit zurück. Durch dieses Forschen in der Vergangenheit will sie Unbewusstes freilegen und diese Erkenntnisse ins Wachbewusstsein holen. In alten Fotografien von ihr selbst und ihrer Familie studiert sie den Gesichtsausdruck und die Gestik der Personen und entdeckt so bestimmte Zeichen für den – oft unbewussten – Ausdruck von Gefühlen. Für diese freigelegten Gefühle erfindet Lee, die in Seoul Plastik und Skulptur studierte, eine gestische Zeichensprache und gestaltet danach kleine Tonfiguren mit einer bestimmten Gestik, die den Gefühlsausdruck abbilden.

Diese Figürchen strahlen wegen ihrer leuchtenden Farben etwas Spielzeugartiges aus, aber vor allem, weil ihre plastischen Formen stark abstrahiert, kindlich vereinfacht erscheinen. Die Künstlerin gestaltet diese Menschlein formal reduziert, ohne Kleidung, ohne Haare, nackt, scheinbar androgyn, sogar die Gesichtszüge erscheinen auf den ersten Blick wenig differenziert. Durch die Nacktheit der Figuren und ihre scheinbar naive Kindlichkeit, beabsichtigt die Künstlerin, alles für die Aussage des Werks Überflüssige auszublenden, und so den Ausdruck der Gefühle wie in einem Brennglas bündeln.

Alle Figuren sind außergewöhnlich kleinformatig, meist nur etwa 30 cm hoch, die Kinderfiguren noch kleiner. Alle sind aus Ton individuell geformt und mit Acryl bemalt. Nur die Augen betont Lee andersfarbig oder durch glitzernde Steinchen. Die monochrome Fassung der Figürchen, aber auch die der Augen ihrer Selbstporträts, folgen einem festgelegten Farbcode: Hellrot ist die Farbe für die “Selbstporträts“ der Künstlerin, Dunkelrot bezeichnet die Menschen ihrer Familie und ihre Verwandten, Lila ist den von ihr verehrten Personen zugeordnet, die sie geistig beeinflusst haben, Gelb bezeichnet ihre besten Freunde und Blau vergangene Beziehungen. Auch die Augenfarbe ihrer Ich-Figuren ist nicht ohne Bedeutung: Die blauen Augen zeigen, dass sich das Lee-Porträt noch auf ihre Zeit in Korea bezieht, wogegen die goldenen Augen die Lebensphase in Deutschland bezeichnen1.

Wegen der kindlichen Anmutung und der Vereinfachung der Figuren übersieht der Betrachter, trotz der unterschiedlichen Haltungen, leicht, dass die Künstlerin die dargestellten Personen individuell charakterisiert hat. Beim genaueren Sehen erschließt sich, dass Gestik und Mimik deutlich differenziert sind und viel über die innere Befindlichkeit und die Gefühle der Figuren aussagen. So ballt etwa eine kleine sitzende „Ich“-Figur, die den Blick auf einen neben ihr sitzenden, recht selbstbewusst wirkenden Mann richtet, die rechte Hand zu einer Faust. Der Gesichtsausdruck und die Gestik der Figuren reflektieren Lees individuelle Erinnerungen an bestimmte frühere Erlebnisse und Erfahrungen. Jede Figur stellt daher ein Erinnerungsbild an eine bestimmte Person dar, das im „Spiegel“ der Fotografie nacherlebt wurde.

Ursprünglich hatte die Künstlerin ausschließlich Selbstbilder, Ich-Figuren geschaffen, die sie in wichtigen Lebensphasen, beginnend mit ihrer Kindheit, darstellten. Die ersten Installationen waren daher reine Ich-Szenarien, in denen Lee vielstimmige Selbstgespräche mit sich führte. Erst ab 2012 lässt sie auch ihre Eltern, Verwandte und Freunde in diesen Echo-Raum des Ichs treten. Ae Hee Lee gruppiert die Figuren in großen Bodeninstallationen auf Kies, Lehm oder Holzklötzchen. Wie in einer Phantasiewelt stellt sie so unterschiedliche Landschaften und Szenen zusammen, als wolle sie eine andere Wirklichkeit modellhaft darstellen. Natur und Nacktheit sollen Vorstellungen von Ursprünglichkeit evozieren. Doch obwohl die Künstlerin die Nacktheit und die natürlichen Materialien einsetzt, um auf die Zugehörigkeit des Menschen zum Raum der Natur zu verweisen, auf seine Kreatürlichkeit und damit auf Gemeinsamkeiten jenseits aller Konzepte von Differenz und Individualität, einschließlich Nation, Rasse und Gender, verzichten  Lees Modellwelten nicht darauf, jenseits aller Stereotypien, gewisse individuelle Eigenheiten jedes Menschen, d.h. jeder Figur, die sie charakterisieren, herauszuarbeiten. Die kleinen Szenen mit unterschiedlichen Charakteren und deren nachvollziehbare, vertraute Interaktionen suggerieren somit konkrete und realistische soziale Situationen. Es entsteht zwar, wie Lee schreibt,  „eine Gesellschaft, die nur in meiner Erinnerung so existiert“2. Doch der scheinbar rein individual-psychologische Kontext, den die Künstlerin in ihren Miniaturwelten entwirft, bleibt nicht an das erinnerte individuelle Lebensumfeld gebunden, sondern weist auf gesellschaftliche Formen der Interaktion, von Gruppenbildung, Ausgrenzung, Zugehörigkeit und Einsamkeit hin. Die scheinbar spielerischen und naiv-kindlichen Szenarien thematisieren somit allgemein menschliche gesellschaftliche Zusammenhänge.

Unversehens mutieren Lees Spielwelt-Landschaften durch das Ausloten der produktiven Distanz zwischen Realität und Phantasie von der individuellen Vergewisserung ihres Selbst und ihrer Rolle hin zu einer Darstellung unserer sozialen Welten und hinterfragen sie.

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Der Beschäftigung mit dem Selbst und den unbewussten Gefühlen im „Spiegel“ der Fotografie korrespondiert ab 2013 im Werk der Künstlerin die systematische Untersuchung und Erforschung der eigenen Träume.

Wie ein Arzt „verschreibt“ sich Lee die Aufzeichnung ihrer Träume, um, so die Künstlerin, ihr „Unbewusstes kennenzulernen“. Die schnell am Morgen nach dem Aufwachen skizzierten Traumsequenzen bestimmen das Projekt der „Dream Records“. Jeden Tag überträgt die Künstlerin die Zeichnung in ein kleinformatiges Traumbild von 20 x 20 cm. Diese sogenannten „Tagesbilder“ setzt Lee in ein kalendarisch geordnetes Monatsbild ein, so dass die erste Traumzeichnung eines Monats, der zum Beispiel mit dem dritten Tag der Woche beginnt, erst ins dritte Feld eingetragen wird. Derartige Leerstellen in den Bildern können auch am Monatsende auftreten.

Die Traumprotokolle überraschen wegen der ungewöhnlichen Art der Schilderung der im Schlaf erlebten Szenen in Form einer naiv vereinfachten kindlichen Bilderschrift. Sie ist für den Betrachter in ihrer Bedeutung kaum zu entschlüsseln, auch wegen der extremen Verkleinerung des Bildgeschehens, das die Darstellung von Einzelheiten unmöglich macht. Lees zeichenhaft reduzierte Bildsprache, die in kleinen weißen Farbtupfen das Traumgeschehen nur in Umrissen andeutet, zeigt eine Welt im Miniaturformat: Großstadtszenarien, kaum erkennbare Chiffren von Hochhäusern, Autos, Straßen, Bäumen, Strichmännchen und manchmal koreanische Schriftzüge. Die Künstlerin schildert diese Welt im Kleinen aus einer seltsamen Perspektive: mit starker Aufsicht, so als würde sie von hoch oben, etwa von einem Wolkenkratzer oder Flugzeug aus, nach unten sehen. Doch ohne die reale Maßstäblichkeit zu beachten, lässt die Künstlerin die Sprache des Traums zu, die die Größenverhältnisse nach der Bedeutung des Dargestellten bestimmt.

Eine seltsame Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit erfüllt diese Szenen. Der Blick aus großer Distanz, der automatisch die perspektivische Verkleinerung der Welt zur Folge hat, führt auch zur emotionalen Distanz, so scheint es zumindest dem Betrachter. Die ruhig fließende Erzählung der Traumbilder strahlt etwas Meditatives aus und erfüllt die Bilder mit einem poetischen Klang.

Diesem gelassenen Blick aus großer Distanz korrespondiert Lees Stilmittel der weiß getupften Umrisslinien auf dem dunklen Untergrund. Die weißen Punkte der Traumszenen scheinen wie Lichter in der Nacht zu strahlen, als seien sie Lichtspuren, Lichterketten, die in den westlichen Großstädten ganz real die Umrisse ganzer Gebäude in Szene setzen. Lee kreiert eine Welt aus Lichtpunkten, die eine nur in Umrissen sichtbar werdende körperlose Traumwelt erschaffen. Nur durch das Licht, in Form tausender kleiner Lichtpunkte scheint sie für einen Augenblick aufzuleuchten, um im nächsten Moment wieder zu verlöschen.

Doch das „Dream Records“ – Projekt nimmt nicht nur metaphorisch Bezug auf das Licht. Denn durch die Beimischung von Silber- und Goldpigmenten strebt die Künstlerin danach, eine reflektierende Bildoberfläche zu erhalten. Ae Hee Lees Konzept sieht weiterhin vor, im Laufe der Jahre die Hintergrundfarbe kontinuierlich aufzuhellen, zu durchlichten, um schließlich die Träume Weiß auf Weiß darzustellen, so dass die Traumwelten nach und nach verlöschen und sozusagen wieder unsichtbar werden.

Auf dem Weg zur Erforschung ihres Unbewussten hat die Künstlerin mit den „Dream Records“ eine außergewöhnlich poetisch-ästhetische Bildsprache entwickelt, die sie auf der Gefühlsebene aufbaut und so auch den Betrachter auf dieser Ebene anspricht, ausgehend von der Erkenntnis, dass sowohl die zwischenmenschlichen Interaktionen im realen Leben als auch das Traumgeschehen emotional gesteuert werden.

Anders als in der westlichen Kultur spielt in der koreanischen Gesellschaft zudem die Beschäftigung mit den Träumen und der Frage nach ihrer Bedeutung für das eigene Leben ganz selbstverständlich bis heute eine wichtige Rolle –  jedoch nicht in der freudianisch-psychologischen Variante. „Wir reden im Alltag über unsere Träume, die traditionell Warnungen, Hinweise und Voraussagen darstellen“, so die Künstlerin.3 ‚Gumsari‘, Traumdeutung in der Tradition des koreanischen Schamanismus, wurzelt in dem tiefen Glauben an eine andere Welt, die wir im Traum erleben, und an das, was auf den anderen Realitätsebenen stattfindet. Lees intensive Auseinandersetzung mit ihren Träumen in den „Dream Records“ bezieht sich somit auch auf diese koreanische Tradition der Weissagung.

Eng verknüpft mit ‚Gumsari’ ist auch die Sterndeutung, die die Künstlerin zur Serie der „Schutzengel“ inspirierte. Lees „Schutzengel“ sind plastische Abbilder der Namen der verschiedenen Sternbilder. Die „Krebs“ genannte Konstellation beispielsweise modelliert Lee als einen kleinen, auf dem Rücken liegenden Krebs aus weißem Wachs. Da Lee die Sterne als „universelle Begleiter für alle Menschen und die ihnen widerfahrenden Ereignisse“ betrachtet, installiert sie die „Schutzengel“ ganz konkret begleitend zu den anderen Werkgruppen, und zwar kopfunter auf Spiegeln, auf erhöht angebrachten Podesten an den Wänden der Ausstellungsräume, um so auf ihre spezielle Funktion als beschützende Wesen hinzuweisen.

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Es geht der Künstlerin nicht um eine vordergründig visuelle „Lesbarkeit“ ihrer Werke, sondern um eine ästhetische Transformation in ein „Anderes gleicher Art“. Dem Betrachter tritt somit ein visuell-poetisches Ganzes entgegen, als Gesamtheit aus materieller Präsenz von Farbe und Form und den Assoziationsräumen, die die Sprache von Malerei und Plastik zu erzeugen vermag. Wie in einem Gedicht findet man in den Traumbildern, aber auch in Lees „Modellwelten“, Formulierungen visueller Art, die einen Blick hinter die Oberfläche ermöglichen, in den nach wie vor rätselhaften Raum der Psyche, der trotz aller Erkenntnisse, von Psychologie und Hirnforschung, bisher nur in Teilen erforscht ist.

Aus dem Ringen um die eigene Identität, die Frage nach dem Ich, entsteht in Ae Hee Lees Kunst so etwas wie ein Spiel mit den Spiegelbildern des Unbewussten, dem Traum und dem unwillkürlichen Gefühlsausdruck, die sie beide mit den Mitteln der Kunst zu erhellen sucht. Nicht ohne Grund verwendet die Künstlerin für beide Bereiche eine bildhafte Formsprache, die Kindlich-Naives in der Inszenierung von modellhaften Spielwelten und der kindlichen Bilderschrift des Traumes reaktiviert. In beiden Fällen findet eine Transformation statt, um die vom Unbewussten ausgehenden Impulse und Inspirationen erfassen und ausdrücken zu können. Das Regredieren ins Kindhafte bezieht sich auf jene scheinbare Nähe des Kindes zum Unbewussten, da es dem Erleben noch unmittelbar ausgeliefert ist und somit unmittelbar reagiert.

Lees Werke wirken somit wie eine bildgewordene Kontemplation jener kurz aufblitzenden Momente von Unmittelbarkeit, in denen sich das Unbewusste zeigt, sie verdeutlichen die Suche nach Formen ihrer Visualisierung. Der bewusst gewählte Darstellungsmodus, nur scheinbar einer kindlichen Phantasie entsprungen, erweist sich für Lee als wahrer Spiegel der Imagination über unser Selbst. Die kindliche Ästhetik ihrer Werke verweist letztlich darauf, dass Phantasie nicht als Flucht aus der rationalen Welt missverstanden werden sollte, sondern als Teil unserer Realität wirksam ist.

Lida von Mengden

1 Die Augenfarbe nimmt Bezug auf die Landesflaggen: Blau auf die koreanische Flagge, Gold auf die deutsche. Der Titel der Ich-Figuren ist die Jahreszahl der dargestellten Lebensphase der Künstlerin, die Titel der anderen Figuren sind die Anfangsbuchstaben des Namens der dargestellten Person.

2 Mail der Künstlerin an die Verf. vom 13.5.2016

3 Siehe Anmerkung Nr. 2“/ Text von Dr. Lida von Mengden

 

Welt der roten Figuren, SWR2 Kultur Info, 12.Juli.2016 / Text: Theo Schneider

/Ausstellung der südkoreanischen Künstlerin Ae Hee Lee im Kunstverein Ludwigshafen Welt der roten Figuren Kultur Regional am 12.7.2016 von Theo Schneider „Zonta“ ist ein internationaler Club berufstätiger Frauen in verantwortlichen Positionen mit dem Ziel, die Lebenssituation von Frauen zu verbessern. Der ZONTA-Club Ludwigshafen vergibt seit 2004 einen Kunstpreis, mit dem jungen Künstlerinnen eine Anschubförderung gegeben werden soll. Mit einem schönen Katalog und einer Ausstellung in einem renommierten Umfeld. Das ist in diesem Jahr der Kunstverein Ludwigshafen. Dort hat Jurymitglied Lida von Mengden die Schau der diesjährigen Preisträgerin eingerichtet: Ae Lee Hee. Im Kunstverein Ludwigshafen hängt der Himmel voller Sterne. Genau genommen sind es 13 doppelte Leinwände, die von der hohen Decke herabschweben und auf Augenhöhe diagonal den Saal durchqueren. Alle 120 mal 140 Zentimeter groß, alle mit weißen Punkten auf schwarzen Leinwänden. Was von fern in der Tat aussieht wie ein nächtlicher Himmel über der Wüste. Es sind Traumbilder, „Dream-Records, sagt die Künstlerin Ae Hee Lee. „In Korea interessieren wir uns traditionell sehr für Träume. Und direkt neben mir liegt ein kleines Notizbuch und jeden Morgen habe ich sofort gezeichnet, sobald ich aufgewacht bin. Und da ich sehr gerne den Nachthimmel betrachte, dachte ich : Ach, den Himmel würde ich gern in meinen Arbeiten als Material verwenden. Und ok, dann male ich weiße Punkte auf schwarzen Hintergründe, wie Sternbilder.“ Ae Hee Lee. Es scheint; als würde Ae Hee Lee immer Variationen des gleichen Traums träumen. Denn alle Bilder dieser Dream-Records, die immer zu Serien vereint werden, zeigen Stadtlandschaften von oben. Etwa aus einem 45° Winkel: Wie Gottes Perspektive, wie Google-Earth, wie ein Merian-Stich: Häuser, Kirchen, Straßen. Plätze, Parks, Menschen und Bäume, Flüsse und Seen. Aber immer nur als Konturen, die aus weißen Punkten bestehen. Das hat einerseits etwas kindlich Verspieltes, wie eine Legolandschaft, andererseits aber auch etwas minimalistisch Abstraktes, etwas technoides wie der Schaltplan eines Computerchips. Auf anderen Serien, auf denen die Sternpunkte goldfarben auf dunklem lila oder taubengrau glänzen, wirken die Bilder wie kostbare alte Kleider aus Goldbrokat oder asiatische Stickereien auf Stoffen. Ae Hee Lee wurde 1982 in Südkorea geboren und hat zunächst in Seoul und dann in Braunschweig Kunst studiert. Heute lebt sie in Berlin. Die Schau im Kunstverein Ludwigshafen ist ihre erste große Einzelausstellung. Neben den vier großen Serien der Dream-Records zeigt sie eine 15 mal 7 Meter große Bodeninstallation: Auf verschlungenen Pfaden aus Lavaschottersteinchen stehen, sitzen und liegen 70 Tonfiguren, die von hellrot bis dunkellila bemalt sind. Die hellen sind Abbilder der Künstlerin selbst, die dunkleren Familienmitglieder, Freunde, Bekannte, auch Tote. Ohne veränderbare Attribute wie Kleider oder Haare. Von weitem: nackt, kahl und scheinbar immer gleich wie rasierte Barbiepuppen, bei näherer Betrachtung jedoch individuell in Mimik, Gestik und Körperhaltung. „Am Anfang als ich nach Deutschland kam, habe ich gedacht: Alles fremd! Und dann dachte ich: Wer bin ich? Was bin ich? Was mache ich hier? Und dann dachte ich: Ok, jetzt baue ich erst mal mich selbst, weil ich mich selbst zunächst finden wollte, wer ich bin, ich selbst. Das war 2008. Und dann habe ich jedes Jahr eine Figur von mir selbst gebaut. Und das habe ich später das „Lebenspojekt“, „Life-Project“ genannt. Und das soll bis zum Ende des Lebens gehen.“/ Text von Theo Schneider

 

"Seelenreise in 944 Traumprotokollen", SCHWABACHER Tagblatt, 21.Oktober.2016 / Text: Robert Schmitt

/SCHWABACH – Wann wird die Frage nach der eigenen Identität besonders drängend? Wohl in der Fremde. Wer weit weg von der Familie, kulturellen Traditionen und gewöhnter Umgebung lebt, der braucht in hohem Maße einen Anker zur Selbstvergewisserung. Für die seit zehn Jahren in Deutschland lebende koreanische Künstlerin Ae Hee Lee sind das ihre Träume, die sie systematisch untersucht und erforscht. Wie sie diese Nachrichten aus dem Unterbewussten in der eigenen Kunst sichtbar macht, das zeigt die Städtische Galerie im Bürgerhaus ab heute Abend. „Dream Records 944“ heißt die Werkschau, die um 19 Uhr eröffnet wird. „Traumaufzeichnungen von 944 Nächten“ muss man den englischen Titel der Ausstellung wohl übersetzen. Denn seit März 2014 greift Ae Hee Lee täglich sofort nachdem sie die Augen aufgeschlagen hat zum Zeichenblock. Sie hat sich die Aufzeichnung ihrer Träume wie ein Arzt selbst verschrieben, um ihr „Unbewusstes kennenzulernen“. Schnell am Morgen skizzierte Traumsequenzen bilden dabei den Ausgangspunkt. Diese Zeichnung überträgt sie jeden Tag in ein kleinformatiges Traumbild von 20 mal 20 Zentimetern. Diese Tagesbilder setzt sie in ein kalendarisch geordnetes Monatsbild des Formats 120 mal 140 ein. So hält sie die Hauptelemente ihrer Träume fest. Aus allem, was noch übrig ist von der nächtlichen Reise durch die eigene Seele, macht Ae Hee Lee täglich ein weiteres Bild. eine umfangreiche Auswahl dieser Werke zeigt die Künstlerin nun in der Schwabacher Galerie. Die Goldschlägerstadt ist für sie indes kein neues Pflaster. 2013 war Lee Ortung-Teilnehmerin Lees Traumprotokolle überraschen wegen der ungewöhnlichen Art der Schilderung der im Schlaf erlebten Szenen in Form einer naiv vereinfachten kindlichen Bilderschrift. sie ist für den Betrachter in ihrer Bedeutung kaum zu entschlüsseln, auch wegen der extremen Verkleinerung des Bildgeschehens, das die Darstellung von Einzelheiten unmöglich macht. Lees zeichenhaft reduzierte Bildsprache, die das Traumgeschehen in kleinen goldenen Farbtupfern nur in Umrissen andeutet, zeigt eine Welt im Miniaturformat: Großstadtszenarien, kaum erkennbare Chiffren von Hochhäusern, Autos, Straßen, Bäumen Strichmännchen und manchmal koreanische Schriftzüge. Die Künstlerin schildert diese Welt im Kleinen aus einer seltsamen Perspektive: mit starker Aufsicht, so als würde sie von hoch oben, etwa von einem Wolke kratzer oder Flugzeug aus, nach unten sehen. Ohne die reale Maßstäblichkeit zu beachten, lässt die Künstlerin die Sprache des Traums zu, die die Größenverhältnisse nach der Bedeutung des Dargestellten bestimmt. eine seltsame Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit erfüllt diese Szenen. Der blick aus großer Distanz, der automatisch die perspektivische Verkleinerung der Welt zur Folge hat, führt auch zu emotionaler Distanz. Die ruhig fließende Erzählung der Traumbilder strahlt etwas Meditatives aus und erfüllt die Bilder mit einem poetischen Klang. Diesem gelassenen Blick aus großer Distanz korrespondiert Lees Stilmittel der golden getupften Umrisslinie auf dunklem, verschiedenfarbigem Untergrund. Die Punkte der Traumszenen scheinen wie Lichter in der Nacht, als seien sie Lichtspuren, Lichterketten, die in den westlichen Großstädten ganz real die Umrisse ganzer Gebäude in Szene setzen.Lee kreiert eine Welt aus Lichtpunkten, die eine nur in Umrissen sichtbar werdende körperlose Traumwelt erschaffen. Anders als in der westlichen Kultur spielt die Beschäftigung mit den Träumen und der Frage nach ihrer Bedeutung für das eigene Leben in der koreanischen Gesellschaft ganz selbstverständlich bis heute eine wichtige Rolle. Jedoch nicht in der freudianisch-psychologischen Variante. „Wir reden im Alltag über unsere Träume, die traditionell Warnungen, Hinweise und Voraussagen darstellen“, so die Künstlerin „Gumsari“, Traumdeutung in der Tradition des koreanischen Schamanismus, wurzelt in dem tiefen Glauben an eine andere Welt, die wir im Traum erleben, und an das, was auf anderen Realitätsebenen stattfindet. Lees intensive Auseinandersetzung mit ihren Träumen in den „Dream Records“ bezieht sich somit auch auf diese koreanische Tradition der Weissagung. Zur Vernissage heute Abend wird Kulturamtsleiterin Sandra Hoffmann-Rivero in der Werk Lees einführen. Am Sonntag, 20. November, steht Ae Hee Lee zur Finissage ab 15 Uhr für ein Künstlergespräch zur Verfügung./ Text von Robert Schmitt

 

"Eine traumhafte Kunst", Neue Ruhr Zeitung, 11.July.2018 / Text: Alexander Florié-Albrecht

/Die Arbeiten der 35-jährigen basieren auf ihren Träumen, die sie zunächst in einem Traum-Tagebuch erfasst und dann zu Bildern verarbeitet.

Schon vor der offiziellen Eröffnung der Ausstellung sprach Bürgermeister Christoph Gerwers von einer „ganz besonderen Ausstellung.“ Tatsächlich ist das nicht alltäglich, was bis zum 9. September in den Räumen des Reeser Koenraad-Bosman-Museums und der Kasematte zu sehen ist.

Denn dort sind die Werke der in Seoul 1982 geborenen Südkoreanerin Ae Hee Lee zu sehen. Tatsächlich basieren die Arbeiten der 35-jährigen „auf eigens erlebten Träumen, die von der Künstlerin in einem Traum-Tagebuch erfasst werden, ehe die Träume schließlich künstlerisch verarbeitet und aufbereitet werden“, so der Bürgermeister in seiner Einführungsrede. Gerwers nannte das „eine äußerst spannende Methode, wenn ich zum Beispiel an meine kuriosesten Träume der letzten Woche denke und darüber nachdenke, diesen künstlerisch verarbeiten zu müssen.“ Nach dem Aufstehen wird gezeichnet

Ae Hee Lees Lebenspartner Karsten Trappe erläuterte bei der Ausstellung in seiner kurzen Einordnung die Arbeitsweise. „Nach dem Aufstehen zeichnet sie ihre Träume auf – sofort wenn sie aufwacht.“ Daraus entstehe eine „vernetzte Struktur“ und Bilder mit kalendarischer Anordnung über 31 Tage – die dann als ein großes Bild angeordnet werden können. Oder eben wie in Rees erstmals im „Schwarzlicht“ der Kasematte als buntes Kunstwerk.

Häufig werden die Bilder aus der Vogelperspektive wahrgenommen. Und durch die Punktform übertrage sich so „dieses Zerfließen des Traums“.

„Erst habe ich mich mit eigenen Erinnerungen beschäftigt, dann wollte ich das erweitern“, erläuterte Ae Hee Lee ihre Idee, die „unbewusste Erinnerung“ zutage treten zu lassen. Die Träume seien sehr unberechenbar. Manchmal nehme sie sie sogar oft in der Rolle als Mann oder Tier wahr, führte die Künstlerin aus. Oft sei sie dabei in Deutschland und rede über Korea, sie sei zusammen mit ihrer Familie oder „im Universum, wo ich nie war.“ Sie mache beim Wachwerden nicht sofort die Augen auf. „Ich denke, was ich geträumt habe – und wenn ich alles zusammengefasst habe, dann zeichne ich das sofort auf. Alles kommt in 20 mal 20 Zentimeter als Rohskizze auf Papier.“ Acrylbilder auf der Leinwand Daraus entstehen dann Acrylbilder auf der Leinwand oder auf langen Stoffbahnen – mit einem Sechskantschlüssel als Pinsel oder Nägel für die kleinen Punkte, die auf den Bildern zu erkennen sind und ein Figuren, Städte und Personen erkennbar werden lassen.

Sie überschreite da eine menschliche Grenze, das sei ihr bewusst. Tatsächlich habe sie das mit dem Träumen richtig „trainiert“, erläuterte die 35-jährige Künstlerin den faszinierten Besuchern. „Zu Anfang habe ich mich jede Stunde einmal geweckt , um zu sehen, sehe ich ein Bild.“/ Text von Alexander Florié-Albrecht

Datum

Nov 17 2018
Abgelaufen!

Uhrzeit

00:00 - 00:01

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